Wirtschaft neu denken
Vor kurzem fuhr ich an der Niederlassung eines größeren Unternehmens vorbei. Da stand in großen Lettern am Fenster: "Zufriedenheit kann man kaufen" - etwas Abstand - "Wir sind Zufriedenheit". Wir sind Zufriedenheit? Unabhängig von der Frage, wieweit das dem deutschen Sprachgebrauch entspricht - es klingt so ähnlich wie "ich habe fertig" erinnerte ich mich, als ich weiterfuhr, dass ich gerade in der Zeitung etwas anderes gelesen hatte. In einer Befragung von 6.000 Beschäftigten durch Infratest im Frühjahr dieses Jahres haben sich nur 12 % mit ihrer Arbeit, mit ihrem Arbeitsplatz "zufrieden" erklärt. Leider war das Geschäft geschlossen, ich hätte sonst ganz viel Zufriedenheit gekauft! Es war übrigens "Toyota".
Sind Sie zufrieden? Wollen Sie in unserem Jahrhundert leben? Würden Sie lieber früher gelebt haben, vielleicht schon ganz alt sein, oder würden Sie vielleicht gerne erst in Zukunft leben? Wenn Sie darüber nachdenken, machen Sie sich bei Ihrer Entscheidung bewusst: Wenn Sie den Inkarnationszeitraum verändern, verzichten Sie auf viel - zunächst einmal auf Ihre Nachbarn im weitesten und im engsten Sinne. Sie verzichten auf Menschen, mit denen Sie hier im Moment leben und gestalten dürfen.
Für mich persönlich gibt es kein größeres Glück, als jetzt leben zu dürfen. Das hat im Wesentlichen zwei Gründe: Erstens, wir leben im Zeitalter der Freiheit. Schnell gesprochen - schwer getan. Wann jemals in der Geschichte der Menschheit waren unsere Gestaltungsmöglichkeiten größer als genau jetzt? Wir können Entschlüsse fassen, und wir können sie verwirklichen. Wir können Dinge verwirklichen, von denen die Menschen in früheren Jahrhunderten nur geträumt haben. Wir haben auf der einen Seite die Möglichkeit frei zu denken. Auf der anderen Seite haben wir uns die physischen Voraussetzungen geschaffen, die es erlauben, unsere Ideen auch umzusetzen. Die potenzielle Freiheit des modernen Menschen ist auf der einen Seite Chance, auf der anderen Seite auch Gefahr. Denn niemand denkt für Sie, niemand handelt für Sie, Sie müssen es selber tun wollen. Die Verwirklichung der Freiheit ist die Aufgabe in unserem Jahrhundert.
Der zweite Grund, warum ich sehr dankbar bin, dass ich heute leben darf, sind Sie, die Sie heute da sind, ebenso alle anderen Menschen, die mich auf meinem Lebensweg begleitet haben. Denn ohne all diese Menschen wäre das, was entstanden ist, nie möglich gewesen. Meine Familie, meine Freunde, meine Kinder, Partner, Kolleginnen und Kollegen, alle haben einen wesentlichen Anteil an dem, was entstanden ist. Für Ihr Mitdenken und Mitwirken, für Ihre Unterstützung danke ich Ihnen sehr. Ohne die vielen Anregungen, ohne die Kritik, den Widerstand, den ich im Leben auch erfahren habe, auf der anderen Seite ohne das Vertrauen wäre das, was entstanden ist, niemals möglich.
Zum Beispiel Alnatura. Als Alnatura entstanden ist, haben 98 % der Befragten gesagt: "Das wird sowieso nichts." Warum? "Weil", so haben sie mir gesagt "Sie eine Idee verwirklichen wollen. Sie müssen viel instinktiver eine Marktnische entdecken und aus dem Instinkt heraus wirksam sein. Sie mit Ihren Gedanken, das wird sowieso nichts". Nun, also bisher hat es recht gut funktioniert. Darauf können wir, glaube ich, stolz sein, dass wir aus dem Bewusstsein heraus tätig sind und nicht opportunistisch agieren. In wenigen Tagen, am 1.10. dieses Jahres wird der älteste Bio-Supermarkt in Deutschland, nämlich der Alnatura Super Natur Markt in Mannheim, 20 Jahre alt.
Stellvertretend für die vielen Menschen, die mich begleitet haben, möchte ich die drei Wolfgang's nennen. Also mit den Wolfgängern habe ich es. Das sind Dr. Wolfgang Goerke, Wolfgang Gutberlet und Götz Wolfgang Werner. Wolfgang Goerke ist heute hier. Ich freue mich sehr, dass Du da bist. Uns verbindet eine lange Freundschaft im Studium und dann auch in der Promotionszeit, in der wir viel und hart um manches Wort und manchen Begriff gerungen haben.
Mein ganz besonderer Dank gilt zwei Persönlichkeiten, von denen ich die eine nicht mehr persönlich kennen gelernt habe, nämlich Rudolf Steiner. Der anderen Persönlichkeit hatte ich das Glück begegnen zu dürfen: Herbert Witzenmann. Ohne die beiden wäre das, was in meinem Leben entstanden ist, so nicht entstanden. 1950 geboren, also den 68ern zugehörig, waren im Alter von 21 Jahren - das ist das Alter, in dem Sie, die Sie hier als Studierende beginnen, heute sind - für mich zwei Fragen wichtig: Erstens, gibt es ein Kriterium der Wahrheit? Gibt es eine Chance, Wirklichkeit erkennen zu können? Kann ich irgendwie sicher sein, dass das, was ich erkenne, Wirklichkeit ist und kann ich daraus ein Motiv für mein Leben finden? Gibt es eine Möglichkeit, Sicherheit zu gewinnen? Das war die eine Kernfrage, die mich berührt hat und die zu vielen Folgen geführt hat. Heftigen Diskussionen mit Pfarrern und anderen, dem Austritt aus der Kirche. Die zweite Frage war: Bin ich zu freien Handlungen fähig? Kann ich wirklich unter gewissen Bedingungen das, was ich erkannt habe, umsetzen oder hänge ich von allen möglichen Einflüssen ab, die ich nicht überschauen kann. Gelingt es mir, Sinnvolles zu tun oder ist das nur eine Illusion? Wie kann ich zu einer nachhaltigen Entwicklung - und das war mein Lebensmotiv - der Erde und des Menschen beitragen? Was muss ich tun, um die Idee der Freiheit zu verwirklichen?
Das sind, liebe Studierende, vermutlich auch die Fragen, die Sie bewusst oder unbewusst hierher an unsere Hochschule geführt haben. Was Sie interessiert, das möchte ich kennen lernen. Ich will Ihnen zuhören, will verstehen, was Sie für Fragen haben. Ich will Ihnen helfen, dass Sie vielleicht Ihre Fragen besser formulieren können. Ich möchte Sie dazu anregen, die Welt und insbesondere die wirtschaftliche Welt besser begreifen zu können. Ich kann Sie auf eine Entdeckungsreise begleiten. Gehen und denken müssen Sie selbst. Ich kann Sie zu Erfahrungen anregen - die Erkenntnisse müssen Sie selbst suchen und gewinnen. Die Wirklichkeit müssen Sie selbst erkennen wollen.
Das Wirtschaftsstudium an der Alanus-Hochschule ist ein Entdeckungsparcours. Er ist gerade schon von Professor da Veiga skizziert worden. Ein mutiges Unterfangen, umso erfreulicher, dass Sie hier sind, denn was würde es nützen, wenn Sie nicht hier wären, um das Wirklichkeit werden zu lassen, was man sich überlegt hat? Ich will dazu beitragen, dass Sie in sich das entdecken, was man den "Unternehmer" nennt. Die Seite in Ihnen, die aktiv ist, die Chancen erkennt, die blitzschnell weiß, da ist eine Möglichkeit, woraus wir etwas machen können.
Unternehmerisches Denken und Handeln ist gefordert, wenn wir die Herausforderungen der Gesellschaft und Wirtschaft nachhaltig lösen wollen. Ich möchte Sie, liebe Studierende, dazu anregen, in unserer gemeinsamen Arbeit Ihre Sicht zu erweitern. Ich möchte Ihnen zeigen, wie man aus einem Haus nicht nur aus einer Seite raus schauen kann, sondern dass es rechts und links und hinter uns auch noch Möglichkeiten gibt, die Welt zu erkennen. Ich möchte Sie zu eigener Ideenbildung anregen, und besonders möchte ich erlebbar machen, was heute alles möglich ist. Wenn wir offen und mutig sind, ist eine neue Wirtschaft möglich. Sie müssen nur den Mut haben, und das lernen Sie hier. Das Werkzeug bekommen Sie hier mit, das ist mein Verständnis von meiner Aufgabe hier am Fachbereich, "Wirtschaft neu zu denken". Er ist eine Chance, er ist aber auch eine große Herausforderung und Aufgabe für uns, für mich.
Die Berufung als Honorarprofessor an die Alanus-Hochschule ist für mich zunächst Ausdruck großen Vertrauens. Hierfür gilt der Hochschule, den Repräsentanten, ganz besonders dem Rektor Marcelo da Veiga, der herzlichste Dank. Denn ohne seinen Einsatz, sein Engagement, seine "gnadenlose Rücksichtslosigkeit" in der Verfolgung der Idee wäre das nicht möglich geworden. Vielen, vielen Dank dafür. Ich danke auch der Softwarestiftung und der Damus-Stiftung, die wesentlich dazu beigetragen haben, dass der neue Studiengang Wirtschaft Wirklichkeit geworden ist. Denn es ist ja nicht normal und üblich, dass man sich auf dem Sofa etwas ausdenkt und es dann so schnell Wirklichkeit wird.
An meinen Ergebnissen der unmittelbaren Beobachtung und meinen Erfahrungen möchte ich Sie teilnehmen lassen, liebe Studierende. Das ist die Grundlage meiner Arbeit. Der Hintergrund, der mich in die Lage versetzen soll, mit Ihnen diesen Entdeckungsweg zu gehen, sind mein Studium der Volkswirtschaft, die Beschäftigung mit Organisationsentwicklung, sieben Jahre Berufserfahrung im Angestelltenverhältnis bei Nestlé, die Erfahrungen mit dem eigenen Unternehmen Alnatura und insbesondere das Studium der Anthroposophie Rudolf Steiners und der Sozialorganik Herbert Witzenmanns.
Mein Thema "Wirtschaft neu denken" scheint im Gegensatz zu den Forderungen der Zeitlage zu stehen. Klima und Umweltprobleme, Bankenkrisen, Beschäftigungsprobleme, Energieengpässe, Hungersnöte, Globalisierungsfolgen und Glaubenskämpfe, die Liste ist lang, und täglich erscheinen neue Punkte auf unserer Agenda. Darüber zu reden ist nicht meine Absicht. Aber haben wir in dieser Situation überhaupt die Zeit zum Denken? Müssen wir nicht, wie es die Praktiker und insbesondere die Politiker lauthals fordern und hektisch tun, schnell handeln? Müssten wir nicht statt "Wirtschaft neu denken" besser formulieren "Wirtschaft neu tun"?
In der FAZ vom 28.08.2007 stand ein Leitartikel von Christoph Hein mit der Überschrift "Chinas teure Umweltkatastrophe". Er gipfelt genau in der Frage "Was kann China tun?". Sein Bericht zeigt die fatalen Folgen einer modernen Industriegesellschaft, deren ganze Energie auf Wirtschaftswachstum und Produktivitätssteigerung abzielt. Ich zitiere: "Die Armut hinter sich zu lassen, vielleicht sogar schnell reich zu werden, ist ein verständliches Ziel eines jeden Chinesen. Doch das Wachstum gefährdet inzwischen die Menschen im Land, weil es die Umwelt belastet. Flüsse und Seen kippen um, Kinder werden verkrüppelt geboren. Mehr als eine halbe Milliarde Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Böden sind verseucht, Lebensmittel sind belastet. Gerade 1 % der städtischen Bevölkerung atmet saubere Luft. Nach Schätzung der Weltgesundheitsorganisation sterben jährlich 750.000 Chinesen direkt an den Folgen verpesteter Luft und verseuchten Wassers. Die volkswirtschaftlichen Kosten sind umgerechnet knapp 50 Milliarden Euro. Die Folgekosten der Umweltschäden machen inzwischen 10 % des Bruttoinlandsprodukts aus." Also, die chinesische Wirtschaft wächst zwischen 8 und 10 % pro Jahr, und das, was sie kaputt macht, ist genau der Betrag, um den sie wächst. Angesichts dieser Schilderung ergreift einen wirklich Sorge, die Analyse ist in einem anerkannten Blatt abgedruckt und sicherlich nicht übertrieben. Doch wenn diese Sorge zu Angst würde, gerieten wir unter ihre Knechtschaft und würden die Chance verpassen, daraus das richtige zu lernen, das Richtige zu denken und zu tun.
Ich möchte mit Ihnen jetzt schrittweise gedanklich eine Zwiebel schälen. Sie werden kein bisschen brennende Augen dabei bekommen! Wir gehen stufenweise vor und widmen uns dem Phänomen "Wirtschaft", bis wir zum Ideenkern vorgedrungen sind. Was können wir, beginnend wir mit dem Beispiel der chinesischen Wirtschaft, lernen? Was können wir lernen für unsere eigene gesellschaftliche Situation, was können wir erkennen?
Erstens, die chinesische Gesellschaft ist auf schnelles Wirtschaftswachstum ausgerichtet. Das, was wir über viele Jahre bei uns erlebt haben, geht dort im Zeitraffer. Die radikale Ökonomisierung aller Lebensbereiche führt zur Entfesselung und zur Entgrenzung des Systems, das nur noch seiner eigenen Logik folgt. Alle Lebensbereiche sind ergriffen. Rüdiger Safranski schreibt im Spiegel "Die Ausnüchterung, also der Geist der ökonomischen und politischen Nützlichkeit, greift auch auf die Kunst über". Es gibt nichts, das wir auslassen, was wir nicht dem Diktat der Ökonomie unterwerfen. Das Leitbild der Gesellschaft ist die Wirtschaft, wäre das Ergebnis dieser ersten Beobachtung.
Doch weiter - die Wirtschaft will Werte erschaffen, will etwas hervorbringen für die Menschen, will den Menschen helfen, die Existenz zu gestalten. Eine nur auf Nutzen und wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtete Wirtschaft ist nicht lebensdienlich - siehe China. Sie zerstört nicht nur die Umwelt und raubt den Menschen ihre Existenz heute und morgen, sie ist auch ökonomisch ineffizient. Die Vernichtung der eigenen Ressourcen, also die Zerstörung von Boden, Luft und Wasser, egalisiert z. B. das gesamte Wirtschaftswachstum in China. Zweites Ergebnis: Die nur ökonomisch betriebene Wirtschaft ist unwirtschaftlich.
Nächste Zwiebelschicht: Wir haben erkannt, dass wir etwas ändern müssen. Aber noch handeln wir so, dass das Ergebnis dieser Einsicht eine ungeheure Beschleunigung ist. Alle Arbeits- und Lebensprozesse beschleunigen sich. Mit größter Energie bauen wir unser Erdenschiff um mit dem Ziel es, überlebensfähig zu machen. Doch die Ergebnisse sind weiterhin ernüchternd. Die Probleme wachsen im Gleichschritt mit der Inflation unserer Handlungen. Wenn wir durch wirtschaftliches Denken die negativen Folgen der Wirtschaft nicht aufhalten können, ergibt sich hieraus die Erkenntnis: Die Krise der Wirtschaft ist keine mit Mitteln der Wirtschaft zu lösende Krise.
Die Folge daraus: Wir wollen, wir müssen die entfesselte Wirtschaft zähmen, disziplinieren und reglementieren. Nie in der Geschichte zuvor hat eine Gesellschaft so viele Gesetze erlassen. Auf jedes Fehlverhalten folgt eine normative Regelung oder Sanktion. Dahinter steht die Idee, dass wir das Verhalten der Menschen konditionieren könnten. Gedacht wird an eine Herde, für die man die Gatter des Schafstalls immer wieder anders stellt, damit die Tiere in die Richtung laufen, die wir für die richtige erachten. Es gibt noch einen zweiten Therapieansatz, der in den vergangenen Monaten immer mehr in den Vordergrund rückt: Man möge sich auf die Werte unserer Gesellschaft besinnen. Auf Vernunft, man soll Freizeit, Fortschritt und Lebensglück beachten. Doch der Ruf nach alten und neuen Werten, nach ethischem Wohlverhalten - zeigt er wirklich Folgen? Ethikmanagement, Sustainable Development - lauter Begriffe, die zu einer Wertbindung, wie man es ausdrückt, der Wirtschaft führen sollen. Aber meine Beobachtung ist, es greift nicht wirklich.
Ergebnis hieraus: In der Wirtschaft an sich gibt es gar keinen Lösungsansatz für unsere Krise, es handelt sich überhaupt nicht um eine wirtschaftliche Krise. Wir werden niemals - und das ist meine feste Überzeugung - aus diesem Hamsterrad herauskommen, das sich immer schneller dreht, wenn wir nicht etwas Abstand nehmen und erkennen, dass das Problem an einer ganz anderen Stelle seine Ursache hat. Man könnte nämlich tatsächlich den Eindruck gewinnen, was uns ja auch immer wieder suggeriert wird, es ist alles zwangsläufig, wir können nichts ändern. Aber das entspricht keineswegs der Beobachtung; denn weder anonyme Mächte noch die viel zitierten wirtschaftlichen Sachzwänge, keine Überlebensziele noch sonst etwas zwingen uns Menschen. Wir können frei wählen, wir schaffen durch unsere Taten die Welt, die uns umgibt und die unser Schicksal ist.
Warum zerstören wir unsere Welt? Zwingt uns jemand dazu? Ja, wir selbst zwingen uns dazu, weil wir die Vernunft dem Nutzen unterordnen. Max Frisch, der Schweizer Schriftsteller, hat 1986 sarkastisch formuliert - und kürzer kann man es gar nicht sagen, um diese Unvernunft zu charakterisieren: "Vernünftig ist, was rentiert". Solange wir blind dem Ökonomieprinzip folgen und es als Sachzwang akzeptieren, werden wir unsere Situation nicht ändern. Das Diktat des wirtschaftlichen Sachzwangs unreflektiert zu akzeptieren, ist unter unserer Würde. Jeder von Ihnen ist aufgerufen, das zu durchschauen und entsprechend zu reagieren. Daraus folgt: Nicht die wirtschaftlichen Sachzwänge, sondern Denkzwänge bestimmen uns und die Wirtschaft.
Jetzt haben wir eine weitere Schicht der Zwiebel abgelöst und erkannt, es hat etwas mit Denken zu tun, unser Problem. Also müssen wir uns jetzt diesem Umweg widmen und uns mit dem Denken beschäftigen und eine weitere Schicht in Angriff nehmen, Wirtschaft denkend erkennen.
Rudolf Steiner hat in drei Vorträgen im Januar 1909 über die praktische Ausbildung des Denkens drei Hindernisse charakterisiert, die uns immer wieder im Wege stehen, wenn, es darum geht, praktisch zu denken, aus dem Wirklichkeitszusammenhang heraus zu denken:
Erstens, unsere Denkgewohnheiten. Wir neigen dazu, das, was uns anerzogen wurde, das, was wir gelernt haben, zu wiederholen, daraus zu urteilen. Wir sind in einem Erfahrungskäfig. Das haben wir immer so gemacht, also machen wir es auch in Zukunft so. Das ist das Eine.
Das Zweite: Wir kapseln uns ab. Steiner beschreibt es als Abkapseln des Menschen in seinem Denken. Wir denken uns etwas aus. Bei uns im Unternehmen gibt es die schöne Redensart "Ich hab mir was gedacht", d. h. eigentlich, "Ich habe mir etwas ausgedacht". Aber es geht nicht darum, sich etwas auszudenken, sondern es geht darum, hinein zu gehen und heraus zu denken aus dem jeweiligen Thema. Es geht nicht darum, etwas hinein zu denken, sondern es aus dem Wesenhaften herauszuholen. Es geht nicht um Selbstverwirklichung in der Wirtschaft. Das ist wie ein Springen im Vorstellungskäfig.
Und schließlich drittens: Wir meinen, dass sich unser Denken nur im Kopf abspielt und dass das überhaupt keine Relevanz in der Welt hat. Ein Geistiges außer uns gibt es nicht, so denken wir. Doch wie wollten Sie denn je die Welt erkennen, wenn sie nicht aus dem Geist heraus gestaltet wäre? Wie sollte ich Wasser trinken können, wenn nicht Wasser im Glas wäre? So ist es auch mit dem Geist. Nur dadurch, dass Geist in der Welt ist, können Sie ihn auch herausholen. Nur dadurch, dass die Welt aus dem Geist hervorgebracht wurde, können wir geistig teilnehmen an ihr.
Das ist etwas, was mich immer aufgewühlt hat: Wie ist es möglich, dass wir als Menschen hinnehmen, dass die moderne Naturwissenschaft uns suggeriert, es ist nicht so und wir müssen akzeptieren, dass der Forschungsinhalt nur das Materielle ist? Diese grundlegende Bewertung der Wirklichkeit ist in meinen Augen die eigentliche Ursache für unsere Denkart. Die Reduktion der Wirklichkeit auf das Materielle ist die eigentliche Ursache für die ganz auf die Befriedigung der physischen Bedürfnisse ausgerichtete moderne Zivilisation. Alle unsere Kraft, alle unsere Fähigkeiten setzen wir immer wieder dafür ein, dass es materiell besser, bequemer wird. Aber das ist die eigentliche Krise der Gesellschaft und auch der Wirtschaft, dass wir uns das gefallen lassen. Besonders Sie, liebe junge Menschen, kann ich nur dazu aufrufen, das zu durchschauen. Es steht in hunderten, in tausenden von Lehrbüchern, dass das materialistische Wirtschaftsmodell richtig ist und dass man das zu akzeptieren hat. Aber auf der einen Seite fordert man Wertfreiheit, auf der anderen Seite setzt man einen Wert, indem man sagt, es ist nur das Realität, was Materie ist. Ist das wissenschaftlich? Es ist sicherlich nicht wissenschaftlich, in diesem Sinn eine Wertsetzung vorzunehmen, die in meinen Augen auch nicht notwendig wäre. Den Forschungsgegenstand so einzugrenzen, so auf materielle Phänomene zu reduzieren. Wir können mehr als Menschen, es ist unter unserer Würde, wenn wir uns auf ein rein materiell erklärbares Produkt reduzieren lassen.
Doch was ist das Prinzip der modernen Naturwissenschaft? Es ist das Erfahrungsprinzip. Die Kriterien der Wissenschaftlichkeit sind ja allgemein gültig, indem das, was in unserem Bewusstsein auftritt, erfahrbar sein muss, dass es reproduzierbar sein muss und dass es intersubjektiv vergleichbar sein muss. Sie müssen auch zu dem Ergebnis kommen wie ich und zwar zu demselben Ergebnis. Wir müssen uns dazu austauschen können. Gemäß dieser Methode hat Rudolf Steiner die Idee des schöpferischen Erkennens entwickelt. Ich möchte einige wenige Gesichtspunkte in Ihnen wachrufen oder Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, da es für mich eine Grundlage darstellt für das, was wir später noch im Hinblick auf "Wirtschaft neu denken" miteinander entwickeln wollen.
Ich habe hier ein Glas stehen. Das Glas ist noch halb mit Wasser gefüllt. Daneben sehen Sie etwas anderes, das schwarz umhüllt ist. Nun ist die Frage, was könnte das andere sein? Hat jemand eine Idee? Was hat das für eine Form? Was ist der Größe ähnlich? Haben Sie eine Vermutung, was es sein könnte? Also, eine Maus ist es vermutlich nicht, Zahnpastatube auch nicht, Giraffe nicht, Auto nicht, Mensch nicht. Ein zweites Glas? Nun, wir wollen mal schauen - es ist keine Zauberstunde, aber fast. Ich kann es mal hochheben. Also mit dem zweiten Glas sieht es schlecht aus. Ein Würfelbecher? Eine Sanduhr? Ein Diabolo? Ja, es sind zwei Halbkugeln, und in der Mitte ist noch etwas anderes. Was zeigt uns das? Es zeigt uns, dass man, wenn man den Begriff hat, etwas erkennen, benennen kann und wenn nicht, dann nicht. Es hätte nicht jeder so erkennen können, der nicht schon mal etwas mit Diabolos zu tun gehabt hat. Der, der gar nicht weiß, was ein Diabolo ist, der hätte sich jetzt mühsam da heran getastet und hätte mit allen möglichen Begriffen versucht, zu beschreiben, was es ist. Das Interessante dabei ist aber, dass wir Wirklichkeit nicht fertig abbilden, sondern im Erkennen aufbauen und dass wir in uns heute eine solche Situation begeben haben, dass, wenn wir genau beobachten, diese Wirklichkeit nicht fertig an uns heran tritt, sondern dass wir im Erkennen Wirklichkeit aufbauen.
Sehr häufig sagt man, was hat das nun mit Wirtschaft zu tun, was soll mich das interessieren? Das ist die Erkenntniswissenschaft, das ist kompliziert. Nach meiner Erkenntnis ist es das Wesentliche, denn es ist die Grundlage aller Forschung. Die Art und Weise, wie ich Wirklichkeit erkenne. Ist die Wirklichkeit fertig, oder baue ich die Wirklichkeit in meinem Erkennen auf? Das ist das A und O, das ist der Schlüssel für alles Weitere. Ist das, was in Ihnen entsteht, ein subjektives Abbild? Sind Sie nur Konsument der Wirklichkeit oder können Sie bei sich beobachten, wie Sie die Wirklichkeit in Ihrem Bewusstsein herausmodellieren, indem Sie auf der einen Seite ganz bestimmte Wahrnehmungseindrücke haben, die Ihnen durch Ihre Sinnes-Nerven-Organisation zukommen, plötzlich, unzusammenhängend, ungefragt, unvermittelt, keinen Sinn stiftend. Auf der anderen Seite können Sie sich auf etwas konzentrieren und können dann nach und nach, indem Sie sorgfältig Beobachtungsinhalt an Beobachtungsinhalt fügen, diesen Begriff, diese glasähnliche Form immer mehr individualisieren bis zu dem, das sich später als Diabolo herausgestellt hat.
Witzenmann - das war für mich zum Verständnis so einsichtig - beschreibt diesen Prozess so, dass er sagt, es ist wie ein Schleier, ein Begriffsschleier, den ich über den unerkannten Gegenstand werfe und ihn dann an vielen Stellen mit meiner Wahrnehmung fixiere, und überall dort, wo Begriffliches mit Wahrnehmlichen zusammenkommt, entsteht dann die Form in meinem Bewusstsein. Ich modelliere das, was draußen ist, in meinem Bewusstsein heraus. Aber nur dadurch, dass Bewusstsein im Sinne von begrifflicher Individualisierung in Kontakt mit den Wahrnehmungselementen zustande kommt. Je oberflächlicher das erfolgt, je weniger präzise. Je exakter, je genauer es erfolgt, umso eher ist es zu erinnern. Das Spannende dabei ist, zu beobachten, was da eigentlich passiert.
Wichtig ist, z.B. erstens, dass das Sinnliche aus dem Übersinnlichen gestaltet wird. Dass das Begriffliche das Gegebene ergreift und nicht umgekehrt, und dass es etwas ist, bei dem wir erfahren können, dass wir selbst schöpferisch tätig sind. Dass wir eben nicht die Wirklichkeit einfach anschauen können, sondern dass wir sie durch unsere Eigenaktivität unter gewissen Voraussetzungen in uns hervorbringen, das ist eine ganz wesentliche Erkenntnis, zumindest für mich. Denn Sie werden zum Schöpfer, nicht nur zum Geschöpf, Sie erkennen, sind ein produktives Wesen, nicht nur Konsument, Sie konsumieren nicht Wirklichkeit, Sie produzieren im Erkennen Wirklichkeit, indem Sie das Allgemeine des Begrifflichen individualisieren, im Prozess formen. Das, was entsteht als Vorstellung, gewinnt zugleich Form, indem Sie das, was stofflichen Charakter hat, aus seiner Vereinzelung heraus nehmen. Obgleich es das Begriffliche individualisiert, ist es selbst universalisierbar.
Nun mögen Sie fragen, warum müssen wir das alles so kompliziert haben? Kann man es nicht schneller und einfacher machen? Da kann man gleich noch etwas oben drauf setzen und sagen: Es ist ja noch viel komplizierter, denn unsere menschliche Organisation ist ja so beschaffen, dass das so kompliziert abläuft. Warum ist es so beschaffen, dass unsere menschliche Organisation den Wirklichkeitsstrom aufteilt auf der einen Seite in das, was wahrnehmlich ist, und auf der anderen Seite ist das, was Sie bewusst ergreifen? Wenn man Sie jetzt fragte, was Sie erinnern, würde jeder etwas anderes erinnern. Obwohl Sie alle nach vorne schauen, werden Sie nur das nachher erinnern, was Sie gedanklich verwirklicht haben. Wenn ich Ihre Aufmerksamkeit auf diesen kleinen roten Zipfel in der Mitte der Zeltwand richte, so werden Sie ihn alle erinnern können, vermutlich. Wenn ich es nicht getan hätte, bin ich sicher, dass der eine oder andere es nicht erinnerte. Die Wirklichkeit wird also durch unsere Organisation aufgetrennt. Warum? Ja, damit wir sie wieder zusammensetzen können. Würde sie nicht aufgeteilt, dann wäre sie fertig für uns gegeben. Unsere menschliche Organisation ist die physiologische Grundlage unserer Freiheit. Nur dadurch, dass wir so beschaffen sind, sind wir überhaupt freiheitsfähig, sonst könnten wir die Wirklichkeit bloß konsumieren. Nein, so ist es aber nicht. Wir produzieren sie bewusst im Erkennen. Eine geniale Beobachtung von Steiner, weiterentwickelt von Witzenmann. Im Mitgestalten der Begriffe gestalten wir unser geistiges Wesen mit. Da nehmen wir teil an der geistigen Welt. Das ist der Anknüpfungspunkt, die Erlebnisebene der geistigen Freiheit.
Ich fasse zusammen:
Das ökonomische Prinzip bestimmt unsere Gesellschaft. Das Maß aller Dinge ist die Wirtschaft, der materielle Erfolg.
Zweitens, die Krise der Wirtschaft ist keine wirtschaftliche Krise, sondern eine allgemein menschliche Krise. Die Umweltsituation ist der Spiegel unserer Taten. Wir kommen uns schicksalhaft in dem entgegen, was uns umgibt. Unsere Ideen, unsere Vorstellungen zeigen sich in der Außenwelt.
Drittens, der Appell zu ethischem Wohlverhalten und die Regulierungswut kann die Wirtschaft nicht zähmen.
Das Motto "Wirtschaft neu tun" greift zu kurz. Es ist ein Paradigmenwechsel nötig, wir müssen uns und unsere Gesellschaft dieser materialistischen Einengung, die bezogen auf das Materielle ihre Gültigkeit hat, entziehen, wir müssen Naturwissenschaft durch Geisteswissenschaft ergänzen wollen. Wir müssen das Denken neu denken wollen.
Die Erfahrung der vorurteilslosen Beobachtung unseres eigenen Erkenntnisprozesses fünftens ist, dass das Übersinnliche das Sinnliche gestaltet und nicht umgedreht. Es ist die Urerfahrung des Menschen, dass der Mensch Wirklichkeitsschöpfer und nicht ihr Konsument ist.
Wir können Wirklichkeit denken, unter gewissen Voraussetzungen auch die Wahrheit erkennen. Das war die erste Frage, die ich eingangs formulierte. Im Gegenstrom von Begrifflichem und Wahrnehmlichen entsteht die Wirklichkeit neu in jeder Situation. Das höchste, das für uns der Maßstab sein wird in den nächsten Überlegungen, was wir überhaupt hervorbringen können, ist ja die geistige Freiheit, die Verwirklichung der menschlichen Freiheit. Insofern ist das Maß aller Dinge nicht die Wirtschaft, sondern der Mensch. Das führt zu einer deutlichen Wende. Wir haben uns jetzt an einen Punkt vorgearbeitet, und wenn wir von dem wieder in die Welt hinausgehen, sieht es deutlich anders aus. Was ist denn das Ziel der Wirtschaft? Das Ziel der Wirtschaft ist die Vermenschlichung der Wirklichkeit, ist die Verwandlung der Natur, ist die Verwandlung der Substanzen im Hinblick darauf, dass sie dem Menschen dienen können. Es ist die Schaffung einer Werkwelt, in der sich Menschen im Hinblick auf ihre freien Entwicklungsmöglichkeiten entfalten können. Es geht um eine Welt, die in ihrer Entwicklung durch uns Menschen über das hinaus geführt wird, was sie als Welt, als Natur leisten könnte.
Wir können den Stoff weiter verwandeln, weiter entwickeln über das hinaus, was im Naturkontext möglich ist. Was ist die Triebfeder, was ist die Aufgabe des Menschen? Die Aufgabe des Menschen ist die Verwirklichung der Menschlichkeit, dessen, was als Potenz, als Chance in uns liegt. Denn wir individualisieren uns in dem gerade charakterisierten Erkenntnisprozess, indem wir die Begriffe hervorbringen. Wir individualisieren nicht nur die Begriffe an dem Wahrnehmlichen, sondern wir verwandeln uns selbst als geistige Wesen. Hier sehen Sie auch - für mich war das zumindest der entscheidende Punkt in meiner Biografie - ich bin nicht nur Geschöpf, ich bin Schöpfer. Ich bin nicht nur Naturwesen, ich bin Kulturwesen. Ich bin nicht nur ein Wesen, das beeindruckt ist, das sich dieser Beeindruckung nicht entziehen kann. Ich bin Ausdruckswesen, ich kann die Welt gestalten. Ich muss mich nicht der Beeindruckung der Welt unterordnen.
Wirtschaft kann sich also selbst keinen Sinn geben. Wirtschaft kann sich auch keinen Inhalt geben. Das ist die eigentliche Kernfrage des modernen Wirtschaftslebens. Es ist die eigentliche Illusion, der immer noch hinterher gelaufen wird, Wirtschaft könne sich selbst steuern. Sie kann, sie soll, sie wird es nicht können. Wirtschaft ist ein Mittel zur Gestaltung für Lebensräume, für Arbeitsräume, sie ist eine der besten Bewusstseinsschulungsstätten, die man sich schaffen kann. Aber wir müssen darauf achten, dass sie wirklich dem Menschen dient.
Nun gehen wir noch ein Stückchen weiter. Versuchen wir, nach der Zwiebeltheorie, die nächste Schicht in Angriff zu nehmen, das Phänomen Wirtschaft. Schauen wir einmal von außen auf das Ganze. Es ist ein unglaublich komplexes Treiben auf diesem Globus. Ständig entstehen neue Strukturen. Jeder, sei er Konsument, sei er Produzent webt, im Bilde gesprochen, an dem Wirtschaftsteppich mit. Wir wissen nicht, was sie für Ideen haben, welche Farben sie verwenden, welche Muster sie weben. Es passt teilweise überhaupt nicht zusammen, aber wir weben, wir spinnen, wir stricken, was wir können, und gestalten damit eine Welt, die sich ständig anders darstellt, die ständig anders aussieht. Das ist das Faszinierende an dem Phänomen Wirtschaft, es ist kein kausalgenetischer Zusammenhang, es ist kein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, wie wir immer wieder dargestellt bekommen, sondern es ist ein lebendiger Organismus. Nun könnte man sagen, ja, es ist ein lebendiger Organismus wie eine Pflanze. Nein, ganz so einfach ist es nicht. Die Rose wird immer eine Rose sein und immer eine Rose werden. Wenn sie wenig Wasser kriegt, wird sie etwas kleiner. Wenn es dunkel ist, bekommt es ihr nicht gut. Das wird die Rose modifizieren, aber nicht grundsätzlich ändern. Rose bleibt Rose. Aber Wirtschaftsgestalt bleibt in dem Sinne nicht Wirtschaftsgestalt, weil die Menschen mit ihren individuellen Impulsen, ihren individuellen Ideen, ihren Gefühlen und Ängsten, ihrem Hass, ihrer Freude, mit allem, was sie um- und antreibt, ihrem Egoismus, ihrem Gestaltungswahn, was auch immer, ihrer Liebe -den sozialen Organismus gestalten. Ich weiß nicht, was sie morgen vorhaben. Auch wenn sie es mir sagen, könnte es sein, dass es sich über Nacht ändert. Wir wissen nicht, was entsteht. Es ist ein komplexes Gebilde.
So, jetzt sitzen Sie hier, liebe Studierende, und dieses komplexe Etwas wollen wir Ihnen erklären, und Sie sollen das erkennen. Damit haben wir ein ziemliches Dilemma erwischt. Das ist das Theoriedilemma der modernen Wirtschaft, in dem sie sich übrigens immer noch befindet. Das ist nicht meine persönliche Auffassung, sondern das können Sie in vielen Lehrbüchern studieren. Wie wollen Sie das erklären? Der eine Ansatz ist, wir machen Theorien. Gerade in der Volkswirtschaft gibt es viele mikro- und makroökonomische Theorien. Ich habe gehört, Sie lernen das gerade. Man muss viel lernen, um das zu begreifen. Es sind Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, es sind Erklärungsmodelle, aber wenn Sie genau nachgucken, selbst bei einem einfachen Preismodell, Angebot, Nachfrage, Durchschnittspreis, es wird jeweils unglaublich viel unterstellt, wie der Mensch sich verhält, wie das eine oder das andere ist. Das, was man so schön in der Wissenschaft ceteris-paribus-Bedingung nennt - dieses ist konstant und jenes wird so gesehen und und und. Dann kommt ein Modell heraus, mit dem lässt sich gut hantieren, man kann alles erklären damit, nur gegenüber der Wirklichkeit ist es nicht tauglich, weil die Wirklichkeit ja nicht so ist. Sie verhalten sich ja nicht so wie der Homo oeconomicus. Also, wir haben Theorien, die die Wirklichkeit reduzieren, die Komplexität reduzieren und damit die Wirklichkeit nicht erfassen können - auf der einen Seite.
Auf der anderen Seite gibt es Fallstudien. Sie sehen, wir rutschen von der abstrakten Seite in die konkrete, in den Einzelfall, letztlich in die Wahrnehmungsebene. Beschreiben wir die Lebensgeschichte eines Betriebes. Dann müssten die Studenten das alles herausarbeiten, wieso es funktioniert oder nicht funktioniert hat. Das sind Einzelfälle. Das ist keine Theorie, aber damit kommen wir auch nicht weiter. Das ist dann das, was man in den Business Administration Schulen gelernt und gelehrt hat. Inzwischen hat man erkannt, man ist auf dem Holzweg. Große Universitäten haben inzwischen herausgefunden, dass nicht wie früher 80 % der leitenden Geschäftsführer und Manager der großen amerikanischen Unternehmen von dort kommen, sondern nur noch 20 %. Denn Business Administration ist nicht das, was wir wollen. Wir brauchen keine Administratoren. Wir verwenden hier an der Hochschule den Begriff, aber der Inhalt ist Business Creation oder Innovation. Also, wir brauchen in der Wirtschaft keine Administratoren, wir brauchen Kreatoren. Deswegen bemüht man sich an den etablierten großen Hochschulen, mit Kunst und anderen Aktivitäten die Lebendigkeit der Menschen aufzuwecken, denn Wirtschaft ist unglaublich vielfältig und bedarf einer enormen Kreativität. Also, mit den beiden angebotenen Modellen kommen wir nicht an das Wesen der Wirtschaft heran.
Es gibt noch die sozial-organische Methode. Sie ist noch nicht so bekannt, aber wir wollen dazu beitragen, dass sich das ändert. Da geht es darum, dass wir nicht beschreiben, was wir erkennen in der physischen Welt. Sondern es geht darum, zu erkennen, was als Ursache hinter dem wirksam ist, was sich in der physischen Welt zeigt. Wir beschreiben nicht die Wirklichkeit, sondern die die Wirklichkeit verursachenden Faktoren, nämlich die Bildekräfte. Die Methode, die ich dafür brauche, ist natürlich eine andere. Ich darf an dieser Stelle einen Satz von Rudolf Steiner zitieren, der zunächst etwas kompliziert klingt. Zu dieser beschreibenden, sozial-organischen Methode sagt er "Indem Sie charakterisieren, kommen Sie zu einem Begriff, den Sie verifizierend modifizieren, und Sie bekommen dann eine wirtschaftliche Anschauung." An und für sich ganz einfach: Sie haben ein Phänomen, Sie bilden einen Begriff - wir haben das gerade versucht - und dann gehen Sie mit dem Begriff wieder an vergleichbare Phänomene heran und werden feststellen, sie sind wieder anders. Sie modifizieren den Begriff und bekommen dann nach und nach einen beweglicheren Begriff, mit dem Sie mehr und mehr vordringen zu dem Bildeprinzip dessen, was sich in der Erscheinung zeigt. Denn zu den Bildeprinzipien wollen wir vordringen. Das ist die sozial-organische Methode. Das wird eins der Themen des Instituts für Sozialorganik sein, sich mit der Weiterentwicklung dieser Methode zu befassen.
"Wirtschaft neu denken" - wir haben zwei Erkenntnisse gewonnen. Erstens, die Wirtschaft bedarf einer Sinngebung aus dem Kulturbereich, aus der Erkenntnis. Zweitens, die Methode, um Wirtschaftsvorgänge wirklichkeitsgemäß zu erklären, ist die sozial-organische Methode. Nun vielleicht ein Beispiel, denn wir wollen ja noch näher an das, was Wirtschaft ausmacht, herankommen. Ein Beispiel für die sozial-organische, charakterisierende Methode.
Die Ur-Idee ist das Gegenstrom-Prinzip, wie es Rudolf Steiner im National-ökonomischen Kurs beschrieben hat. Dort zeigt er auf, wie Sie alles, was Sie an wirtschaftlichen Phänomenen beobachten können, letztlich zurückführen können auf die Wirksamkeit von zwei unterschiedlichen Wertbildeprozessen. Einerseits wenden Sie Arbeit auf die Naturgrundlage an, verwandeln die Natur. Das machen Sie ja in der Wirtschaft, Sie wenden Ihre Arbeit darauf an, um die Äpfel vom Baum zu holen, sie in Kisten zu bringen und dann auf den Markt zu fahren. Oder sie in einer Maschine zu Apfelmus zu verarbeiten, ins Glas zu verbringen und in einen Laden zu verfrachten über den Großhandel. Aber während dieses Prozesses gibt es einen zweiten Prozess, der ganz anders beschaffen ist. Mit Ihrem menschlichen Geist leiten, steuern, gestalten Sie die Arbeit. Zum Beispiel, indem Sie den Arbeitsprozess teilen, organisieren und koordinieren. Indem Sie das, was Sie früher allein gemacht haben - jeder hat seinen Apfelbaum gepflückt - jetzt aufteilen auf mehrere. Der eine stellt die Leiter an, klettert hoch, sitzt auf dem Baum und pflückt die Äpfel und tut sie in die angereichten Behältnisse. Der zweite transportiert sie ab, der dritte sortiert sie aus und bringt sie in Kisten. Und das Ergebnis ist, dass in der gleichen Zeit 40, 50, 60, 100 % mehr Äpfel geerntet werden können. Das besondere - und darauf will ich hinweisen - ist, dass diese beiden Wertbildeprozesse, also Arbeit auf Natur und Geist auf Arbeit anzuwenden, sich gegenseitig entwerten. Je mehr Geist Sie anwenden, umso mehr Arbeit an der Naturgrundlage sparen Sie.
Jetzt sehen Sie plötzlich, wie wirtschaftliche Wertschöpfung erklärt werden kann. Nicht indem Sie wie in der klassischen Nationalökonomie sagen, es ist die optimale Allokation von Boden, Arbeit und Kapital, sondern wie durch das Zusammenwirken von zwei gegenläufigen Prozessen das Ergebnis jeweils neu entsteht. Sie beschreiben nicht, was ist, sondern was hinter der Erscheinung steht. So wie in der Kunst. Kunst und Wirtschaft sind sich näher, als Sie glauben. Der Gegenstrom Geist auf Arbeit, Arbeit auf Natur ist ein Beispiel für die sozial-organische Methode.
Nun möchte ich mit Ihnen in einem weiteren Schritt das Phänomen und das Organisationsprinzip der Arbeitsteilung anschauen. Warum? Weil durch die Arbeitsteilung sich ungeheuer viel in der Wirtschaft geändert hat, sie ein bestimmender Gestaltungsfaktor ist. Das haben wir normalerweise nicht so im Bewusstsein. Ich werde mich auf Weniges beschränken, aber es soll nochmals ein Beispiel dafür sein, was "Wirtschaft neu denken" bedeutet.
Das erste, was wir beobachten können: Durch die Arbeitsteilung gibt es einen Produktivitätsgewinn. Sie hat enorme Auswirkungen, diese Tatsache, dass heute 40 % der Menschen die Güter und Dienste, die für alle notwendig sind, hervorbringen könne. Das ist ja die Grundlage dessen, was Götz Werner als die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens propagiert. Nur dadurch, dass wir so ungeheuer effizient geworden sind, können wir uns mit einer solchen Idee beschäftigen.
Ein zweiter Punkt, der vielleicht nicht so unmittelbar einsichtig oder offenkundig ist, ist der der Motivation aus der Arbeit. Wenn jemand als Künstler ein Werk alleine machen kann oder als Handwerker z. B. eine Torte gestaltet, dann spritzt es aus seinen Augen vor Freude, wenn er dann beschreibt, wie etwas entsteht. Wenn man zuschaut, merkt man, seine Arbeit macht ihm Freude. Das Privileg haben nicht mehr so viele Menschen. Durch die Arbeitsteilung habe ich nur noch eine beschränkte Tätigkeit, bin eingegrenzt auf diese Tätigkeit, und die intrinsische Motivation, die Motivation aus der Arbeit selbst ist nicht mehr gegeben. Aber was bedeutet das eigentlich? Dadurch, dass wir die Arbeitsteilung haben, können (und müssen) wir jetzt freiwillig ein Interesse an der Arbeit gewinnen. Wenn ich die Freude unmittelbar im Tun habe, ist das zwar herrlich; aber dadurch, dass ich heute meist getrennt bin von dieser Motivationsquelle durch die Arbeitsteilung, habe ich die Chance, einen bewussten Zugang zu entwickeln, z. B. aus Interesse am Menschen tätig zu sein.
Insofern ist die Arbeitsteilung die soziale Grundlage unserer Freiheit, so wie ihre Wertschöpfungswirkung die wirtschaftliche Grundlage unserer Freiheit darstellt. Schließlich das spannendste, was uns am schwersten fällt: Die Arbeitsteilung ist praktischer Altruismus. Sie können sich mit dem, was Sie tun, überhaupt nicht selbst versorgen, Sie arbeiten immer nur für andere. Das tun Sie, ob Sie das wollen oder nicht. Wollen tun wir es meistens nicht, denn wir tun immer so, als ob wir für uns selbst arbeiteten. Wir leben noch ganz in der Vorstellung, wir arbeiten, um ein Einkommen zu erzielen. Wir erzielen ein Einkommen, um leben zu können. Die Realität ist aber, Sie arbeiten mit anderen für andere, und in dem Moment, während Sie hier sitzen, sind tausende Menschen tätig, damit Sie nachher heil nach Hause kommen, damit der Kühlschrank funktioniert, das Telefon oder was auch immer. Sie können sich nicht selbst versorgen, mit dem was Sie hervorbringen. Sie sind nur für andere tätig. Wirtschaft ist Altruismus.
Wie gelingt es uns jetzt, den Egoismus zu überwinden? Mit moralischen Forderungen werden wir es sicher nicht schaffen. 1905 bereits hat Rudolf Steiner in einem von drei Aufsätzen zum Thema "Geisteswissenschaft und soziale Frage" mit Blick auf die Arbeitsteilung das soziale Hauptgesetz formuliert, in dem zum Ausdruck kommt, dass die Wohlfahrt umso größer ist, je mehr es den Menschen gelingt, das altruistische System auch wirklich zu leben. In seinen Worten hört sich das so an: "Das Heil einer Gesamtheit von zusammen arbeitenden Menschen ist umso größer, je weniger der einzelne die Erträgnisse seiner Leistung für sich beansprucht. Das heißt, je mehr er von diesen Erträgnissen an seine Mitarbeiter abgibt und je mehr seiner eigenen Bedürfnisse nicht aus seinen Leistungen, sondern aus den Leistungen der anderen befriedigt werden."
Wann arbeite ich gerne für andere? Das ist genau die Frage, die sich unmittelbar anschließt. Wenn Sie sich in jemanden verliebt haben, werden Sie alles für ihn tun. Nur sich immer so in seine Kunden zu verlieben, die man ja gar nicht kennt, ist, glaube ich, ein bisschen viel verlangt! Also deutet das zwar in die Richtung, aber es ist nicht die Lösung. Ich brauche aber einen Grund für meine Tätigkeit, einen Grund, der in dem anderen Menschen liegt. Nur dann bin ich gerne für ihn tätig, sonst mache ich es nur widerwillig. Das ist ein zweiter, wesentlicher Pfeiler, denn alle drei zusammen ergänzen sich. Das liest sich bei Rudolf Steiner wie folgt: "Wenn ein Mensch für einen anderen arbeitet, dann muss er in diesem anderen den Grund für seine Arbeit finden, und wenn jemand für die Gesamtheit arbeiten soll, dann muss er den Wert, die Wesenheit und die Bedeutung dieser Gesamtheit empfinden und fühlen. Das kann er nur dann, wenn diese Gesamtheit noch etwas ganz anderes ist als eine mehr oder weniger unbestimmte Summe von einzelnen Menschen. Sie muss von einem wirklichen Geist erfüllt sein, an dem ein jeder Anteil nimmt. Sie muss so sein, dass ein jeder sich sagt, sie ist richtig, und ich will, dass sie so ist. Die Gesamtheit muss eine geistige Mission haben, und jeder einzelne muss beitragen wollen, dass diese Mission sich erfüllt."
Wie, das ist sofort die nächste Frage, wie bekomme ich einen Zugang zu dieser geistigen Mission? Also, ich arbeite für andere, das kann ich ja noch nachvollziehen, aber wie gelingt es mir, überhaupt eine Bedeutung darin zu sehen, für andere arbeiten zu wollen? Dazu bedarf es des dritten, nämlich einer geistigen Weltauffassung, wie vorhin erläutert: "Es ist eben in des Wortes ureigenster Bedeutung richtig: Nur dem einzelnen kann man helfen, wenn man ihm bloß Brot verschafft. Einer Gesamtheit kann man nur dadurch Brot verschaffen, dass man ihr zu einer Weltauffassung verhilft."
Wir sehen daran, dass die Wirtschaftsfrage und die Zukunft der Wirtschaft und Gesellschaft letztlich eine Bewusstseinsfrage ist. Es ist eine Frage "Wollen wir Brot für die Welt?", dann werden wir Steine produzieren oder "Wollen wir Geist für die Welt?", dann können wir Brot produzieren. Können wir wirklich das Wesentliche, um das es geht, ins Auge fassen oder lassen wir uns beeindrucken von den Reden über Sachzwänge. Was ist das Wesentliche? Das Wesentliche ist, dass der Mensch das Maß aller Dinge ist. Wenn wir diese Einsicht gewonnen und selbst erlebt haben, wollen wir dann eine Gesellschaft, wollen wir Zusammenhänge gestalten, die dem Menschen tatsächlich entsprechen und schließlich, und das ist das ganz Wesentliche, haben wir dann auch den Mut dazu, das zu tun? Denn es gibt immer tausend Hinderungsgründe, die sehr schnell auftauchen.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch schauen, nicht nur auf "Wirtschaft neu denken", sondern auf "Wirtschaft neu tun", "Wirtschaft neu gestalten" aus dem Impuls heraus, den ich versuchte, mit Ihnen zu entwickeln. Wir haben uns bis zum Kern der Zwiebel vorgearbeitet, und jetzt wollen wir Zwiebeln pflanzen gehen für die Zukunft.
Wir haben, glaube ich, erkannt, dass die größte Herausforderung für uns alle ist, dass wir Wirtschaft nur dann richtig gestalten können und in der Wirtschaft tätig sein können, wenn wir uns weit über das hinaus bewegen, was heute Wirtschaft ist. Wir können nur dann sinnvoll tätig sein, wenn wir das aus verschiedenen Gesichtspunkten betrachten und sinnbestimmt sein lassen. Es geht zunächst um die Verwirklichung der menschlichen Freiheit. Es ist die ureigenste Aufgabe des Menschen, es geht um die Verwirklichung der Menschlichkeit. Und zweitens, anders herum, geht es um die Vermenschlichung der Wirklichkeit, nämlich um die Gestaltung der ganzen Werkwelt, die um uns herum ist. Da geht es darum, wie gelingt es uns, mit den anderen Menschen zusammen - das ist dann die soziale Frage - eine Welt zu schaffen, in der der einzelne sich entfalten kann? Das sind die drei großen Aufgaben, die miteinander zusammen hängen. Letztlich geht es, wenn wir jetzt auf den eigentlichen Wirtschaftsbereich schauen, darum, wie gelingt es uns, den Stoff, also die Substanzen, aus denen wir Produkte gestalten, so zu verwandeln, dass mehr zur Erscheinung kommt, als in der Substanz enthalten ist. Das ist etwas, was uns sehr nahe an das heranführt nach meinen Erlebnissen und Erkenntnissen, was Kunst darstellt. Denn in der Kunst, die natürlich zweckfrei ist - das ein großer Unterschied zur Wirtschaft - aber lassen Sie uns auf den Prozess schauen - geht es darum, dass in Ihnen beim Erleben etwas entsteht, was Ihnen die Gewissheit vermittelt über eine Wirksamkeit, einen Inhalt, der über das hinausgeht, was Sie im Äußeren sehen können.
Ich habe es erlebt als junger Mensch, mit 21 Jahren, als ich das erste Mal die Ouvertüre von "Parzival" hörte. Ich kannte zwar die Geschichte, die Oper von Wagner hatte ich zuvor nie gehört, hatte mich nie damit beschäftigt. Schon in der Ouvertüre waren für mich evident die einzelnen Persönlichkeiten, das Parzival-Motiv, das König-Artus-Motiv. Ich wusste nicht, ob es so ist, aber für mich war es klar, dass es so ist. Wesenhaftes von dem, was in diesen Persönlichkeiten lebt, habe ich innerlich erlebt. Auch das kennen Sie sicherlich selbst. Jeder von Ihnen hat solche Erlebnisse schon gehabt. Wo man berührt ist davon, dass man viel mehr erlebend erkennen kann, als man äußerlich kann. Da beginnt das eigentliche Menschsein, da ist Kunst erfahrbar, erlebbar.
Das ist mein Verständnis von Wirtschaft, worüber hier und da manchmal gelächelt wird, aber ich bin davon fest überzeugt, dass es unsere Aufgabe ist, wirklich zu einer Ästhetisierung beizutragen und der Natur zu verhelfen, sich besser auszudrücken, als sie es selber kann. So weit weg sind wir davon gar nicht, wenn wir fragen "Ist es der Möhre so recht, wie die Möhre ist?" oder können wir noch irgendwelche Unterstützung geben, dass die Möhre besser wird. Vielleicht ist die biologisch-dynamisch gezüchtete Rodelika-Möhre schon die wahre Möhre? Die Frage zu stellen, ist wichtig, kann die Möhre ganz Möhre sein und sich in ihrer Möhrenhaftigkeit ausleben, was können wir dafür tun, dass die Möhre noch mehr Möhre wird? Es geht nicht darum, dass wir die Möhre so machen, wie wir sie brauchen, damit wir sie gut schnitzeln können oder dass sie schnell wächst, dick, groß oder dünn ist, sondern es geht darum, was liegt im Wesen der Möhre und wie können wir dazu beitragen, dass das, was dort anwesend ist, sich ausdrücken kann. Das ist die eigentliche Aufgabe der Wirtschaft.
Mit diesem Ort hier ist ja der Name Beuys stark verbunden. Wir hatten vor einiger Zeit ein Seminar mit Johannes Stüttgen, einem Beuys-Schüler, er hat einen Satz von Beuys zitiert, der für mich ungeheuer gut das zum Ausdruck bringt, was ich hier sagen möchte. Er ist dem einen oder anderen vielleicht bekannt, nämlich die Frage: Warum lächelt die Mona Lisa? Und die Antwort "Die Mona Lisa lächelt, weil sie mehr weiß als Leonardo". Das ist ein guter Satz, denn der Künstler - Beuys - bringt damit zum Ausdruck die Einschätzung, dass Leonardo in seinem Werk weit über das hinaus gegangen ist, was er selbst bewusst an der Stelle vielleicht begreifen konnte, und dass er etwas geschaffen hat, was stärker wirkt, was eine stärkere Ausdrucksgestalt ist als das von ihm Vorstellbare. Deswegen lächelt die Mona Lisa. Sie lächelt, weil sie eben etwas mehr weiß, und das ist wirklich Kunst.
Das erleben Sie nur als der, der es erfahrend erkennen kann. Ich kann Ihnen nur empfehlen, gerade den jungen Menschen, nutzen Sie die Chance, hier Kunst nicht nur zu erleben, sondern auch zu praktizieren. Nutzen Sie die Gelegenheit. Ich selbst habe sieben Jahre, vom 21. bis zum 28. Lebensjahr, jede Woche mindestens drei Stunden bei einem Bildhauer gearbeitet. Das war für mich ganz wichtig. Ich beschäftige mich heute noch sehr damit, aber diese Zeit war ganz wichtig. Nutzen Sie diese Situation, denn die Verwandlung des Stoffes ist das, was Sie später auch in der Wirtschaft tun. Wenn es uns gelingt, hier zu einer Entzauberung beizutragen - nur der Mensch kann die Natur entzaubern - dann kann der ideelle Schein des Sinnlichen zur Erscheinung kommen. Wirtschaft ist in dem Sinn ein Gemeinschaftskunstwerk, an dem die verschiedensten Menschen beteiligt sind, das sich ständig wandelt und das eine ästhetische Ausdrucksleistung hervorbringen will.
Ich komme zum Schluss und damit auch wieder zum Anfang. Gibt es etwas Schöneres, als in diesen Zeiten zu leben? Wir können die Wirklichkeit erkennen, wir können die geistige Freiheit verwirklichen. Wir können für andere mit anderen zu einer Vermenschlichung der Welt beitragen. Wir können eine neue Wirtschaft, eine neue Gesellschaft, die sinnvoll für Mensch und Erde ist, aufbauen. Und wir können das alles, weil die Menschen da sind, die genau das wollen. Das ist doch das, was uns immer wieder in Bewegung bringen müsste und begeistern kann. Dass es die Menschen gibt, die wirklich so etwas wollen. Diese Menschen, die als Kundinnen und Kunden auf Ihre Leistung in Zukunft warten, die gibt es. Das sind die Bauern, die Künstler einer neuen Kultur, einer freien Gesellschaft, einer ästhetischen Gesellschaft. Wenn Sie auf diesem Weg sind, dann darf ich erinnern an eine Persönlichkeit, die genau heute, nämlich am 17. September vor 828 Jahren gestorben ist, Hildegard von Bingen. Mit diesem Satz möchte ich Sie in den Nachmittag schicken. Er stammt aus "Welt und Mensch":
"Der Mensch sollte alle seine Werke zunächst einmal in seinem Herzen erwägen, bevor er sie ausführt."