Warenkunde: Rhabarber
Es gibt viele Anzeichen dafür, dass das Frühjahr vor der Tür steht.
In einem Haus- und Gemüsegarten gehört die Rhabarberpflanze wohl zu den imposantesten dieser Hinweise.
Ab Mitte April schieben sich aus dem Wurzelstock der Rhabarberstaude kleine, gekräuselte Blattknospen. Kaum zu glauben, dass sich innerhalb weniger Wochen daraus die allseits bekannten und mächtigen Rhabarberstangen und -blätter entwickeln.
Rhabarber im Porträt
Ähnlich wie beim Spargel ist der Genuss dieses Gemüses zeitlich begrenzt. Der aufmerksame Leser hat hier vielleicht gestutzt: Rhabarber eine Gemüsepflanze? Richtig, aus botanischer Sicht gehört er zum Blattstielgemüse. Seine küchentechnische Verwendung hingegen lässt ihn als Obst erscheinen. Schließlich macht man aus ihm fruchtig-frischen Kompott, saftige Kuchen, Limonaden, Liköre – aber auch würzige Chutneys oder Fleischbeilagen.
Der Rhabarber passt in keine Schublade. Seine Vorfahren kommen aus China, wo er Überlieferungen zufolge schon vor 4.000 Jahren angebaut wurde – damals verwendete man hauptsächlich den Wurzelstock zu medizinischen Zwecken. Der lateinische Name unserer heutigen Rhabarberpflanze lautet Rheum rhabarbarum, was so viel bedeutet wie: ausländische, fremde Wurzel.
Den Weg in unsere Gärten könnte man als lang, holprig und spannend beschreiben. Er führte über Russland, Frankreich und die Niederlande nach England. Hier gibt es aus dem Jahr 1753 die ersten offiziellen Belege für den Anbau. Aus England kommt auch die Tradition der sogenannten Treibtöpfe. Denn wenn man ab Mitte März über die Rhabarberpflanze einen Tontopf stülpt, entwickeln sich die Rhabarberstiele zwei bis drei Wochen eher. Ein großer Vorteil, wenn man bedenkt, dass im 18. Jahrhundert im Frühjahr noch immer die Kellervorräte aus dem Vorjahr der Ernährung dienten. Rhabarber war das erste frische Gemüse, welches der heimische Garten zu bieten hatte. Obendrein sind die Rhabarberstiele durch das Abdecken mit einem lichtundurchlässigen Eimer oder Topf zarter und milder.Herkunft und Anbau
Will man über die Geschichte des Rhabarbers in Deutschland berichten, so
kommt man an den Vierlanden nicht vorbei – ein Gebiet im Südosten
Hamburgs, in dem seit 1840 Rhabarber angebaut wird. Von hier nahm der
Handel mit den fruchtig-säuerlichen Stielen seinen Lauf, auch in
südlichere Gefilde.
Denn der Anbau des Rhabarbers in warmen Gegenden ist schwierig – das
Gemüse benötigt einen »Kälteschock« und reichlich Feuchtigkeit, um
auszutreiben. Einer alten Bauernregel zufolge sollte die Rhabarberernte
um Johanni (24. Juni) beendet sein. »Sind die Kirschen rot, ist der
Rhabarber tot« – so ein Sprichwort. Es gibt dafür zwei Gründe: Zum einen
benötigt die Rhabarberstaude nun Zeit zum Regenerieren. Zum anderen
steigt der Oxalsäure-Gehalt stark an. Diese Säure ist charakteristisch
für Rhabarber und anderes Blattstielgemüse wie Spinat oder Mangold. Sie
sorgt nicht nur dafür, dass sich die Zähne beim Verzehr von Rhabarber
stumpf anfühlen, sondern gilt auch als Calciumräuber. Schließlich gehen
Oxalsäure und dieser wichtige Mineralstoff eine Verbindung ein. Die
Folge: Calcium steht dem Körper nicht mehr zur Verfügung. Im
Umkehrschluss liegt hier auch die Erklärung für die häufige Empfehlung,
den Rhabarber gemeinsam mit Milchprodukten zuzubereiten. So wird die
Oxalsäure gebunden und ein gut gesüßter Kompott zu einem echten Genuss.
Auch empfiehlt es sich, den Rhabarber gegen Ende der Erntesaison vor dem
Weiterverarbeiten zu schälen. Dies ist eine zusätzliche Möglichkeit,
einem Zuviel an Oxalsäure entgegenzuwirken.
Des Rhabarbers Karriere findet im Übrigen nicht nur in der Küche statt – auch im Theater kann er eine Rolle spielen. Denn will man auf der Bühne das Gemurmel einer Menschenmenge nachahmen, so macht man dies häufig über die undeutlich ausgesprochenen Worte »Rhabarber, Rhabarber«. Und noch eine weitere Nutzungsmöglichkeit tut sich in der jüngsten Geschichte der imposanten Pflanze auf: die Ledergerbung. Denn es ist mittlerweile bekannt, dass das klassische Verfahren der Chromgerbung unerwünschte Substanzen zurücklässt. Inhaltsstoffe des Rhabarbers könnten eine umweltfreundliche Alternative sein – das Nachfragen beim Schuh- oder Taschenkauf lohnt sich.